„Caring Company“? Trigger-Warnungen, Safe Spaces, Schneeflöckchen: Handlungsbedarf für Unternehmen
Trigger-Warnung: In dem folgenden Text finden sich zugespitzte Formulierungen, die Sie „verstören“ könnten.
Trigger-Warnungen, Safe Spaces, Schneeflöckchen
Die „Safe-Spaces-Bewegung“ - und mit Ihnen die Trigger-Warnungen - ist offensichtlich explizit in der Welt der deutschen Universitäten angekommen. Das berührt Unternehmen insofern besonders, als sie in akademischen Absolventen das Gros ihrer Fach- und Führungskräfte gewinnen.
Das Recht darauf, gewarnt zu werden vor möglicherweise „verstörende“ Inhalte und Ereignisse, um allfälligen, möglichen seelischen Verletzungen ausweichen und „Rückzugsräume“ zum Schutz eigener Empfindsamkeit nutzen zu können, stehen im Verbund mit außeruniversitären gesellschaftlichen Entwicklungen, die in bestimmten Milieus komfortablen Lebens in Ländern westlicher Prägung seit einigen Jahren – Tendenz zunehmend - beobachtet werden und beginnen, Unternehmen zu schaffen zu machen.
Befördert ist der Ruf nach Trigger-Warnungen und Safe Spaces durch konvergierende, einander verstärkende gesellschaftliche Entwicklungen, die unter dem Label wachsender Empfindsamkeit das Hervorbringen von Schneeflöckchen begünstigen. Trigger-Warnungen, Safe Spaces und Schneeflöckchen (als Metapher und Chiffre) gehören nicht nur einem Bedeutungsfeld an, sondern verstärken einander. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Unternehmen aufgefordert werden, Safe Spaces einzurichten.
Helicopter-Uni Bonn & darüber hinaus
Ein Beispiel. Unter dem Titel „Die Helikopter-Uni. Bonn warnt Studenten vor unschöner Wirklichkeit“ berichtet Thomas Thiel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23. September 2021, S. 11) davon, dass der zwar „namentlich nicht gekennzeichnete, aber mit offiziellem Logo versehene und vom Gleichstellungsbüro verschickte Leitfaden“ an der Universität Bonn die Universität Bonn „ausdrücklich als „safe space“ entwirft: „als Rückzugsort von Personen, die für sich das Recht fordern, von der Welt in Ruhe gelassen zu werden“, erläutert der Autor. Am folgenden Tag, 25. September 2021, liest man zwar (ebenfalls in der F.A.Z.) in einem kurzen Abschnitt, das Rektorat habe sich auf der Homepage in einer Stellungnahme von den „“Informationen und Anregungen zum Umgang mit Inhaltshinweisen in der Lehre““ distanziert. Allerdings wird diese vermeintliche Distanzierung umgehend relativiert: „Man sei zwar bereit, sich über den „Umgang mit Inhaltsweisen auszutauschen. Die Freiheit der Wissenschaft dürfe dafür aber nicht eingeschränkt werden.““ Der Leser fragt sich: Wie soll die Freiheit der Wissenschaft und das vorbehaltlose Denken und Argumentieren in Universitäten ohne Einschränkungen beibehalten werden, wenn gleichzeitig die Intention eines Austauschs über eben diese angeboten wird? (In dem Netzwerk „Wissenschaftsfreiheit“ finden Interessierte eklatante Fälle solchartiger Einschränkungen bis Behinderungen, https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de.)
Das Wattieren von Studenten durch Hinweise („Trigger Warnungen“), die sie verletzten, „verstören“, wie es heute häufig heißt, aus dem seelischen Gleichgewicht bringen können -, das Behandeln von Studenten als „Patientenkollektiv, dem negative Emotionen wie Ärger und Stress erspart bleiben sollen“ (Thomas Thiel) sowie das Konzipieren von „Studenten als Affektbündel, die nicht über die Fähigkeit verfügen, Dinge intellektuell zu distanzieren“, so dass bereits „persönliches Beleidigtsein (…) als Grund (reicht), sich in der Tat verstörenden Themen wie Klassenkampf, Kriminalität oder sexuelle Gewalt zu entziehen“ (Thomas Thiel), ist kein neues Phänomen, sondern feiert prominent in den USA und in Großbritannien medienwirksam seit Jahren seinen Siegeszug nicht nur im universitären Raum, sondern auf verschiedenen gesellschaftlichen Feldern wie Erziehung/ Bildung, Kultur. So auch inzwischen in Deutschland. Statuen werden zerstört oder versetzt, Klassiker, Kinder-, Bildungsliteratur wird verbal auf vermeintliche politisch-moralische Korrektheit überprüft und umformuliert, Traditionen werden abgeschafft (in Kitas etwa das Verkleiden als Indianer, Cowboy), Studenten weigern sich, mit Literatur konfrontiert zu werden, die mit ihren Überzeugungen nicht übereinstimmt, plädieren -wie in Frankfurt – zu einem beachtlichen Anteil dafür, solche Literatur gar aus der Bibliothek zu verbannen, fordern Trigger-Warnungen für Texte und Vorträge, die emotional unerwünschte Effekte auslösen könnten und behindern bis an die Grenze von Gewalt Redner, die andere als eigene Perspektiven, Interpretationen, Modelle etc. zur Diskussion stellen.
Trigger-Warnungen, Umschreiben von Texten, Weglassungen, Entfernen von Bildern, Statuen etc., Protest (inklusiv aggressivem) gegen das, was der persönlichen Empfindsamkeit (und damit verflochtenen Haltungen etc.) widerspricht, das Recht darauf, bei seelischer Verletztheit das Feld (den Hörsaal etwa) zu verlassen bzw. alles zu entfernen, was dem persönlichen Harmonieempfinden zuwider läuft - all dies gehört zum thematischen Umfeld von Safe Spaces und Cancel Culture und befördern Persönlichkeitsprofile, für die die Metapher als „Schneeflöckchen“ eingeführt wurde.
Die Indizien mehren sich, dass es nützlich ist, sich mit der Charakteristik in dem Sprachbild „Schneeflöckchen“ zu befassen.
Metapher „Schneeflöckchen“
Das Sprachbild bündelt wesentliche Facetten wie insbesondere geringe Belastbarkeit, geringe Ambiguitätstoleranz, geringe Konflikt- und Kritikkompetenz, Furcht- und Abwehrhaltung vor einer sogenannt verstörenden Wirklichkeit sowie vor einer nicht von Erfolg und Applaus gekrönten Anstrengung. Die Metapher bringt zum Ausdruck, was psychologische Untersuchungen, Befragungen, empirische Sachverhalte im privaten wie beruflichen Umfeld seit Jahren beschreiben. Genügen bereits geringe Veränderungen in der Außentemperatur, um eine Schneeflocke zum Schmelzen zu bringen, bedeutet dies Im übertragenen Sinn: Bei geringstem Gegenwind, unangenehmen Rahmenbedingungen, erfolgsunsicheren Herausforderungen, konfliktuellen Situationen und dergleichen drohen seelische Not, Demotivation, Leistungsminderung.
Geburtsumfeld Schneeflöckchen
Der Ausdruck „Schneeflöckchen“, aus Großbritannien kommend, taucht neuerdings in der Diskussion im Umkreis der Frage nach der Sicherung von Unternehmenserfolg wieder öfter auf. In einem Beitrag fokussiert Heiner Thorborg, Personalberater, Führungskräfte als maßgebliche Ermöglicher – und gelangt zu einem ernüchternden Fazit, das bereits im Titel des Artikels erscheint: „Studium und Karriere : Generation der Schneeflöckchen taugt kaum zum Chef“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung print: 09.08.2021; https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/generation-der-schneefloeckchen-taugt-kaum-zum-chef-17476073.html#void).
Ein Hauptstrang der Begründung, der auch von psychologischer Seite gestützt wird, lautet, stichwortartig, so: Die seit den 1970er Jahren wirkende Psycho-Pädagogisierung, Emotionalisierung, Moralisierung, Ideologisierung begünstigt unter anderem das Kreisen um die eigene Persönlichkeit. Man nimmt sich selbst und seine Bedürfnisse in erster Linie ernst und folgt dem psychologischen Diktum: Erst musst du dich selbst annehmen und lieben, dann erst kannst du anderen Gutes tun. Das eigene Wohlergehen gilt also als Bedingungen der Möglichkeit, sich selbst zu akzeptieren sowie in sozialen Zusammenhängen kompetent agieren zu können.
Der zweite Hauptstrang nimmt das sozialisatorische und erzieherische Umfeld in den Blick. Pointiert gesprochen: Schneeflöckchen erblühen maßgeblich in einem sozio-ökonomisch komfortablen und bildungsnahen Milieu, in dem „Helicopter-“ und „Curling-Eltern“ ihren Nachwuchs bis ins junge Erwachsenenalter umsorgen. In diesem Lebensumfeld wachsen Kinder überbehütet auf: werden rundum betreut und begleitet, erfahren eine Fürsorge in dem Sinn, dass sie anstrengungs- und belastungsarm leben (siehe aktuell etwa (Monika Wesseling: „Überbehütung hat ähnlich negative Auswirkungen wie Vernachlässigung, in: https://www.welt.de/kultur/plus234916196/Kindererziehung-Ruediger-Maas-ueber-eine-lebensunfaehige-Generation-und-die-Verantwortung-der-Eltern.html).
Zu den Entstehungs- und Förderbedingungen gehören ferner der medial begleitete und dadurch zumindest Selbstgefühl oder Bewusstsein verstärkende Fokus auf Empfindsamkeit, Sensibilität, verstärkt durch Berichte, dass die Pandemie die Verbreitung psychischer Belastung bis hin zu Störungen wie Depressionen, massiv erhöht hat. (Nebenbei: Unabhängig davon haben sich Literatur und therapeutische Angebote verbreitet, die sich den so genannten „Hochsensiblen“ widmen, bis hin zu Appellen an Unternehmen, für Hochsensible entsprechende Arbeitsumfelder schaffen zu müssen, damit sie nicht zerbrechen, sondern gedeihen können.)
Schneeflöckchen sind nicht resilient.
Resilienz, häufig versinnbildlicht mit der Figur „Münchhausen“ oder der Redewendung „nach dem Fall Krönchen richten, aufstehen und weiterlaufen“, meint Widerständigkeit, „Gedeihen trotz widriger Umstände“ (Rosemarie Welter-Enderlin). Resilienz zeigt sich darin, an Krisen nicht zu zerbrechen, sondern an ihnen zu wachsen, also: lernen, mit Schwierigkeiten konstruktiv umzugehen und insofern begründetes Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit zu gewinnen. Wer nicht lernen kann, sich in heiklen Lagen zu bewähren, kann Resilienz nicht entwickeln. Darin stimmen Hirnforscher wie Psychologen überein. Und in praxi zeigt sich dies daran, dass jene, die dank Überbehütung das Umgehen mit schwierigen, krisenhaften, verunsichernden Situationen nicht haben lernen können, verständlicherweise seelisch leiden, erheblich aus dem Tritt geraten, ausweichen, gar kollabieren, wenn sie in solch bedrohliche Situationen hineingeraten. Das gleiche gilt für dem anspruchsvolle berufliche Konstellationen, in denen unter anderem konstruktives Konfliktmanagement und solides Durchsetzungsvermögen erforderlich werden.
Fehlende oder unterentwickelte Resilienz prägt das Niveau internaler Grundmotivation, Zutrauen zu sich selbst und damit der Überzeugung, durch eigenes Handels Gewünschtes (mit) bewirken zu können (Selbstwirksamkeit, Copingstrategien). Wer sich kaum hat bewähren können, kann nicht wissen, welche Copingstrategien helfen könnten, welches Denken, Handeln, Kommunizieren in einer komplizierten, gar komplexen, jedenfalls belastenden Situation erfolgversprechend sein könnte.
Wer kaum hat lernen können, was er tun kann, um eine Schwierigkeit zu bewältigen oder mit einer Belastung konstruktiv umzugehen, verfügt über keine Routinen, keine einschlägigen Erfahrungen und damit kein Repertoire an Handlungsoptionen. Und hat auch kaum Transferkompetenz. Wer etwa ungeübt ist, in Kontroversen zu argumentieren, versagt eher in konfliktreichen Konstellationen am Arbeitsplatz, beispielsweise in divers zusammengesetzten Teams, in denen auch nicht genehme, den eigenen Überzeugungen entgegenstehende Perspektiven, Auffassungen, Argumentationen Geltung beanspruchen und daher ein Arrangement gefunden werden muss.
Bedeutung und Optionen für Unternehmen
Unternehmen (und andere Organisationen) brauchen insbesondere in den Führungsetagen Personen, die geistig rege, mental offen für unbekannte und der eigenen Auffassung gegenläufige Ansichten und Argumentationen sind, die bewusst an ihrer Resilienz arbeiten und sich an erfahrbarer Realität orientieren und nicht eigene Empfindungen und Wünsche in den Vordergrund stellen, sondern in Rede stehende Erfordernisse und Ziele. Sie benötigen Personen, die willens und in der Lage sind, Verantwortung auch dann zu übernehmen und handlungsfähig zu bleiben, wenn Ungemach droht oder eine Krise ausgebrochen ist. Zu diesem Profil passen Schneeflöckchen nun einmal nicht. (Eher findet man solche Persönlichkeiten unter ausgewiesenen Leistungsträgern, Gründern, Freiberuflern, Selbstständigen und, wie empirische Studien immer wieder zeigen, unter Personen, die den zweiten Bildungsweg durchlaufen haben.)
Ob Schneeflöckchen oder nicht: Seit Jahren zeigen Forschung und Erfahrung, dass die Attraktivität von Führungslaufbahnen bereits in der so genannten Generation Y leidet, geschweige in der nachfolgenden „Generation Z“. Bevorzugt werden Anstellungen, gern in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen, und dies in Positionen ohne Führungsverantwortung. Der Kanon genannter Vorteile: exakte, familien-, freizeitfreundliche Arbeitszeiten, keine Bürde durch Entscheidungs- und Personalverantwortung und dadurch bedingte (Mehr-) Belastungen, sicherer Arbeitsplatz.
Das Phänomen der Schneeflöckchen ist für Unternehmen aus einem einfachen Grund geradezu existenziell bedeutsam. Zunehmend empfehlen Personalberater, sich nicht nur um Anwärter zu kümmern mit geradliniger Bildungsbiographie (häufig zusammenfallend mit einer überbehüteten Adoleszenz), sondern Personen mit zweitem Bildungsweg bzw. Personen mit sogenannten Brüchen im Lebenslauf systematisch einzubeziehen, da diese sich haben durchsetzen, diszipliniert und selbstreguliert arbeiten müssen. Kulturvergleichende Untersuchungen und praktische Erfahrungen legen nahe, zudem Personen aus dem asiatischen Raum zu gewinnen, da sie als besonders ambitiös und karrierepolitisch nüchtern und stringent gelten. Eine systematische Erweiterung des Kandidatenpools ist eine Option, die Unternehmen offensteht. Gelingt es, Lernszenarien zu organisieren, in denen Schneeflöckchen von diesen Peers lernen können, belastbarer, nüchterner etc., resilienter und geistig offener zu werden, kann ein „organisationales“ Lernen beginnen, das dem Unternehmenserfolg zugutekommt.
Bei Schneeflöckchen klaffen Selbstbild und Realität in der Regel auseinander; der viel zitierte „Realitätsschock“ ist eine Folgeerfahrung. Statt immer mehr Psychokurse anzubieten können pragmatische Maßnehmen helfen, um Selbstbilder zu korrigieren und den Wirklichkeitsschock zu einer lehrreichen Erfahrung zu machen. Etwa können Unternehmen einen Begleiter (Mentor, Ratgeber) zur Seite stellen, der idealerweise neben fachlicher Expertise das kleine 1x1 kluger Kommunikation kennt. Aufgrund des Aufwandes dieses Verfahrens beschränken sich insbesondere KMU darauf, es bei Schlüsselstellen anzubieten. Das Verfahren ist übrigens eine Variante der sogenannten personalisierten Personalentwicklung, die generell dem Motto folgt: Individualisierte Angebote statt Talentpools. Große Firmen bieten dies als Teil des Traineeprogramms an.
Daneben haben sich sogenannte selbstlernende Lerngruppen mit individuellen Feedbackschleifen in der Praxis bewährt. Beispiel Evonik (ausführlich: Richard Klein: Die Lern-Enabler bei Evonik. In: Wirtschaft + Weiterbildung, 11/12, 2021, S. 28-31): Das Spezialchemieunternehmen Evonik unterstützt Selbstlernen massiv, u.a. durch zielgruppenspezifische Programme mit personalisierter Rückmeldung und durch die Ausbildung von sogenannten Enablern (nach dem Modell der internen Ausbildung von Trainern oder Facilitators).
Das gesamte Angebot ist in Lern-, Handlungsfeldern orchestriert. Eine weitere Facette sind Global Learning & Development Products: Beschäftigte suchen sich auf einer externen Seminarplattform die für sie relevanten Themen, angelegt als zielgruppenspezifische mehrmonatige Entwicklungsreisen (neue Mitarbeiter, länger Beschäftigte, Talente, Führungspersonen, Senior Manager). Diese Entwicklungsreisen vereinen online-Trainings, Präsenzmodule, Peer-Learning und werden von Personalentwicklern insofern begleitet, als diese die Fortschritte beim Selbstlernen beobachten, unterstützt vom Learning Experience System, wo der Fortschritt einsehbar ist und Anhaltspunkte für Interventionen gibt, etwa ob der Lernende mehr inhaltliche oder Unterstützung durch Wiederholungen benötigt oder Austausch mit Peers oder Dozenten. (Analog Selbstlernprogrammen für Schüler.) Zudem bietet der Konzern digitale Lernreisen an, die individuell zu bewältigen sind.
Unter dem Label „Self directed Learning Culture“ werden Mitarbeiter aller Ebenen motiviert, selbst Lernreisen zu konzipieren und selbst festzulegen, wie sie damit lernen. Auf diese Weise können Beschäftigte erkennen, welche Modi des Selbstlernens subjektiv am effektivsten sind, zu welchem Lerntypus sie am ehesten gehören, unterstützt von „People Developer“ und „Digital Learning Days“; letztere als Einführung in Lernen mit digitalen Medien und Formaten.
Die Verbindung von Selbstlernen und Arbeitsleistung wird im Handlungsfeld „Employee-Centered Learning Experience“ angeboten. Beschäftigte lernen mit dem Ziel, den Arbeitsfluss aufrecht zu erhalten. Auch hier gibt es Unterstützung, nämlich durch Wissensvermittler, die wöchentlich an einem Tag digital ein Thema etwa für eine Stunde erklären, als Video archiviert und im In- und Ausland zur Verfügung gestellt. Für Mitarbeiter bietet Evonik Kurse, um das Auftreten vor Kamera zu üben.
Das vierte Handlungsfeld bezieht sich auf ein „Learning Management System“, einer Weiterbildungsplattform. Sie soll Angebote Suchenden helfen, sich zurecht zu finden und mit wenig Aufwand nicht nur den Überblick ermöglichen, sondern persönlich relevante Angebote leicht auffindbar machen.
Dieses Beispiel zeigt neuere, aufwendige und für KMU nicht unmittelbar umsetzbare Optionen, um unter anderem Resilienzbildung für Personen und Organisation zu fördern. Dennoch können KMU sich inspirieren lassen, insbesondere dann, wenn sich Unternehmen zu Weiterbildungsnetzwerken zusammenschließen.
Spezialitäten für Schneeglöckchen
Bereits im gängigen Repertoire von Angeboten zur Entwicklung der Persönlichkeit bieten Unternehmen psychologisch bis esoterisch ausgerichtete Kurse – neben Mentoring, Patenschaften, Lerngruppen, individuellem Coaching. Um die besondere Charakteristik der Schneeflöckchen zu berücksichtigen, müsste der Fokus verändert werden: zu Gunsten kognitiver und intellektueller Fertigkeiten, die Selbstregulation, Selbstdistanz, Ambiguitätstoleranz (Aushalten von Mehrdeutigkeit), der Motivation, sich in schwierigen Situationen (Kontroverse, Konflikt, Krise) bewähren und konstruktiv handlungsfähig werden bzw. bleiben zu wollen.
Neben dem Ausgleichen von Bildungs- und Wissenslücken (siehe die aktuellen Diagnosen dramatischer Defizite während der Pandemiezeit) scheinen Unternehmen sich nun auch auf psychologische Stärkung verlegen zu müssen Realitätstraining, Lernen von Copingstrategien, Ausbilden einer für Diversität offenen Geisteshaltung, Resilienz und Souveränität als übergreifende Stichworte. Es scheint für Unternehmen kein Weg daran vorbeizuführen, den Weg von Psychologisierung und Individualisierung weiter zu gehen und zu noch ausweitender zu einer „caring company“ zu werden (Viola Schenz: Die perfekte Firma. In: SZ 23.11.2021). Es wird also vermutlich mehr Psychologen und Psychotherapeuten in Unternehmen geben und/ oder das Angebot, virtuelle Beratung und Therapie in Anspruch zu nehmen (vgl. als Einstieg siehe etwa meine Aufsätze: Hello, I`m Eiza. Eliza und die Zukunft von Psychotherapeuten. Teil 1, In: Freie Psychotherapie, 02.10, S. 57-61 (Fortsetzung voraussichtlich 03.19; Therapie ohne Therapeut – mit Roboter? Teil 2, In: Freie Psychotherapie, 03.19, S. 33-36).