Demokratische Unternehmensführung?
Demokratie in Unternehmen? Erste Überlegungen aus aktuellem Anlass.
Ein weiterer Hype kündigt sich an. Dieses Mal oszilliert er um demokratische Führung in und von Unternehmen. Für diese Übertragung einer politischen Kategorie auf Wirtschaftsorganisationen (die man durchaus kritisch beäugen kann) werden folgende Begriffe bemüht: Gleichheit und Gleichwertigkeit, Augenhöhe und Wertschätzung, Partizipation und Agilität, Individualisierung und Identifikation. Diese in diesem Diskurs zentralen Termini zeigen bereits, dass es weniger um effektive und effiziente Unternehmens-, sondern um politisch infiltrierte psychologisch-moralische Anliegen geht, von denen behauptet wird, sie seien im Zeitalter von New Work und Generation Y unerlässlich. Dass dieses Statement allerdings die Spezifizitäten von Generation Z oder Game sowie der sich ankündigenden Hegemonie von Technical-social-cyber-system-Architekturen vernachlässigt, sei an dieser Stelle nur erwähnt.
Das Plädoyer für Demokratisierung von Führung ist keinesfalls neu. Die Fürsprache für mehr Mitbestimmung und Partnerschaft, für mehr individuelle und organisationale Flexibilität, für fraktale Strukturen, für Selbstorganisation, Prozessorientierung und fluide Strukturen lässt sich bis in die 1970er Jahre zurückverfolgen. Neueren Datums sind bestenfalls Überzeugungen, die als gültige Annahmen und Fakten apostrophiert werden. Sie fungieren als Sprungbrett, von dem aus das demokratische Unternehmen als folgerichtige und notwendige Konsequenz erscheint.
Jeder scheint zu wissen, worum es dabei geht. Das ist keinesfalls der Fall. Erstens bleibt selbst im Einzelfall unklar, welche demokratisierte Variante im Unternehmen Gestalt annehmen soll. Zweitens mangelt es in den Beiträgen zu demokratischer Führung vor lauter Sonnenschein an der Thematisierung von Schattenseiten. Zwei Aspekte seien erwähnt, weil sie Hebelwirkung entfalten.
1: Demokratie setzt auf Enthierarchisierung und Egalisierung, auf Augenhöhe und Inklusion. Die rhetorische Abwesenheit von Unterschieden suggeriert die faktische Abwesenheit von Unterschieden in Form von Über-, Unterlegenheit, Über-, Unterordnung, Zuständigkeit und Macht.
Netzwerkforschung, soziologische Erkenntnisse, Schilderungen von Betroffenen in Beispielunternehmen und Alltagserfahrungen belegen, dass formale Differenzabstinenz in der realen Menschenwelt nicht vorkommt (und schon gar nicht in der virtuellen). Unterscheidungen in Funktionen, Rollen und Machteinfluss schleichen sich durch Hintertüren wieder ein: mental („Der/ die ist mir überlegen, weil in einem Bildungshaushalt groß geworden.“); operational („Der/ die ist wichtiger als ich, weil er/sie in der IT arbeitet.“); strukturell („Der/die sitzt am längeren Hebel, weil er/sie den gesamten Bereich überblickt.“); machtbezogen („Dem/der folge ich, weil er/sie charismatisch und visionär ist.“). Soziale Foren, Netzwerke, Communities – all diese sozialen Phänomene zeigen, dass Unterschiede gemacht werden.
Enthierarchisierung geht notwendig einher mit Erosion von Struktur, Ordnung, Standards und erzwingt Partikularisierung und Adaptivität – nicht ausnahmsweise oder gezielt, sondern im Alltag jederzeit. Das Abschaffen von Routinen macht einer Kultur von Dauer-Verhandlung Platz. Zeitaufwand expandiert und Verunsicherung nimmt zu. Auch die entlastende Funktion von Konventionen aller Art geht verloren: Jeder muss sich um alles permanent kümmern. Strukturen und andere allgemeingültige Übereinkünfte reduzieren Komplexität. Wird Enthierarchisierung strikt genommen, wird das Unternehmen chaotisch, zu einem Debattierclub und Verhandeln zur Dauerbeschäftigung mit offenem Ausgang.
Die Generallogik von Inklusion - Totaleinbezug und Ununterscheidbarkeit - erschwert Entscheidungsprozesse erheblich. Doch die Realität bricht sich auch hier Bahn. Entscheiden als eine Handlung erzeugt Unterschiede, inkludiert und exkludiert. Die Unvermeidbarkeit von Unterscheidungen offenbart beispielsweise das Phänomen der informellen Führung: Personen übertragen anderen Personen ohne externen Befehl Führungsfunktionen und installieren die Differenz von Leader und Follower. Die Rhetorik um „natürliche“, „authentische“, „charismatische“ Führung gießt die Notwendigkeit von Unterscheidung in Konzepte, die – welch Ironie – gegenwärtig höchst nachgefragt sind und als Führungskonzepte mit den Labeln „paradigmatisch“ und „nachahmenswert“ propagiert werden.
Explizite und implizite Unterscheidungen sind für Stabilität, Erwartbarkeit, Handlungsfähigkeit und gezielte Kooperation unverzichtbar. Strukturen, Prozeduren, Rollen sind Bedingung der Möglichkeit, unternehmerisch erfolgreich zu sein. Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um erfolgswirksame Auswahl von Freiheiten und Grenzen.
2. Demokratie meint im „New Work“-Kontext Partizipationsoption plus Individualisierung und Identifikation. Die meisten Apologeten mischen basis- und repräsentativ-demokratische Komponenten: Mitsprache und –bestimmungsrecht sowie Wahl von Führungspersonen.
Eine der das Unternehmen schwächenden Implikationen liegt in der skizzierten Verabschiedung von Verlässlichkeit. Mitbestimmung stellt alles jederzeit auf den Prüfstand, so dass Standards an Gültigkeit verlieren. Und damit Verhaltenssicherheit. Im Gegensatz dazu wird auf Individualisierung gesetzt: Unternehmerische Regularien sollen sich am individuellen Bedarf entlang spezifizieren, um Mitgestaltung zu ermöglichen. Sowie: Agiles und marktsituatives Adaptieren stehen hoch im Kurs, häufig eingerahmt in die Rhetorik der disruptiven Innovation. Auch hier bleiben allgemein verbindliche Stationen, Regularien, Kriterien, Normen, die sowohl das individuelle Arbeiten in einen übergeordneten Kontext stellen und Orientierung geben, auf der Strecke. Das gleiche gilt für kollektive Beiträge von Teams. Das Problem entsteht dann, wenn es keine verbindlichen Parameter mehr gibt, die u.a. synchronisierende und koordinierende Funktionen erfüllen. Das Pathos der Beliebigkeit droht, und hier hilft für etablierte Unternehmen – wie die Empirie mit Incubatoren zeigt - weder der Hinweis auf Start-up-Kultur noch der Hinweis, darauf, dass, wenn alle das primäre Ziel kennen, alle in die gleiche Richtung arbeiten. Selbst wenn das Ziel definiert ist, bleiben noch die verschiedensten Wege, es zu erreichen. In Unternehmen braucht es dazu einen Frame oder ein Kanon an erwartbaren Parametern, um zu gewährleisten, dass die Zuarbeiten aus unterschiedlichen Richtungen zielbezogen gebündelt werden können (und das auch noch im Rahmen der anvisierten Zeit mit den zugestandenen Ressourcen.)
Die Revolution frisst ihre Kinder – jedenfalls dann, wenn Verlässlichkeit eingetauscht wird gegen den Verzicht auf generell gültige Kernregeln. Inwiefern über diese „demokratisch“ befunden werden kann, muss von Unternehmen zu Unternehmen entschieden werden.
In diesem Zusammenhang ertönt häufig die Mahnung, dass, wenn die Angestellten nicht selbst über Regeln bestimmen könnten, die Identifikation mit Aufgabe und/oder Unternehmen leide. Der Clou dieser These wird verstärkt, wenn diese Behauptung kausal verknüpft wird mit dem Aspekt der Motivation oder des Involvements (wie es heute öfter heißt): „Demokratisches Führen erhöht die Identifikation mit dem Unternehmen und motiviert zu mehr Engagement.“ Dieses Junktim unterstellt, dass Mitbestimmen und Wahlberechtigung zwangsläufig mit der Bereitschaft einhergehen, sich auf dem Niveau des High Performers für das Unternehmen einzusetzen. Selbst wenn diese Kausalität zuträfe (unbewiesen!), wäre dies für Unternehmen nicht unbedingt ein Vorteil. Denn: Wer ein Projekt oder ein Produkt „mein Baby“ nennt, wird es nicht leicht hergeben. Zu viel Mühe, Aufwand, psychische Energie sind eingeflossen, um es zu gebären. Identifikation macht unflexibel, unagil.
Die Wahl von Führungspersonen gilt als neuester Ausdruck partizipatorischer Führung. Die nach dem Mehrheitswahlsystem (!) Gewählten sind, wollen sie wieder gewählt werden, immer Zuwählende. Erfahrungsberichte konzedieren: Sie befinden sich stets im Wahlkampf, betreiben Reputations- und Impression Management, Schmieden Allianzen, Bedienen Klientelwünsche, flankiert von vorauseilendem Gehorsam („Was werden die Wähler denken, meinen, tun, wenn ich...?“). Diese und weitere mikropolitische Anstrengungen fressen einen enormen zeitlichen Anteil der Arbeitszeit auf. Psychische Kosten gesellen sich hinzu, vor allem Druck, Belastung, Erschöpfung, gegebenenfalls berufliche Fehl- oder Minderleistung.
Wahldemokratie labilisiert das Unternehmen zudem durch das Auftauchen neuer Akteure bzw. alter Akteure in neuer Funktion. In diesem Fall wirkt die gruppendynamische Wahrheit, dass sich alle Betroffenen neu orientieren, sortieren und positionieren. Veränderungen schränken für eine Weile unweigerlich das Leistungsniveau ein. Erst nachdem eine Veränderung verdaut und eine neue Ordnung installiert ist, steigt die Performance wieder. Bis zum nächsten Wahlkampf!
Möglich, dass bereits in wenigen Jahren diese Frage nicht einmal mehr zum Schein gestellt werden kann. Denn dann könnten das „Internet der Dinge & Menschen“ (social-physical-cyber-system) mit Maschinen und Programmen dank Künstlicher Intelligenz und Emotional Computing soweit entwickelt sein, dass das, was bereits geschieht, perfektioniert sein wird: Algorithmen, Daten, selbst lernende und -entscheidende vernetzte Systeme geben als Programme und technische Assistenten vor, was Menschen zu tun und zu lassen haben.