Stehaufmännchen und Baron Münchhausen. Persönliche Resilienz in Pandemie-Zeiten.
am Dienstag, 29 September 2020.
Aktuelle Ausgangslage
Innere Widerständigkeit oder Wachsen an Herausforderungen, wie Resilienz geläufig übersetzt wird, ist eingedenk der latenten Dauerbelastung eine erstrebenswerte Fertigkeit. Denn im Alltag ist die Pandemie stets gegenwärtig, sichtbar besonders durch Abstandsgebot und den obligatorischen Mund-Nase-Schutz; denn beides gilt in unserer Gesellschaft nicht nur als einer transparenten, offenen und auch empathischen Kommunikation hinderlich und als lästig, sondern geht Arm in Arm mit Unsicherheit in sozialen Situationen einher . Umfragen zeigen, dass diese Sichtbarkeiten permanent gespürt werden und daher entscheidend dazu beitragen, das Wohlbefinden generell zu beeinträchtigen. (Von „Konsumlust“ ganz zu schweigen.)
Folglich stellt sich die Frage, welche Optionen individuell zur Verfügung stehen, um das Gefühl ständiger Bedrohung zumindest im eigenen Befinden und folglich im Verhalten zu minimieren. Anders gesagt: Was wir tun können, um die seelische Belastung zu verringern und wieder guten Mutes zu sein.
Hilfe durch das Konzept Resilienz
Dabei kann das Konzept von Resilienz assistieren. Dessen leitende Frage lautet: Wie gelingt es manchen Menschen, Krisensituationen so wenden, dass sie aus ihnen sogar gestärkt hervorgehen, zumindest in Umbruchphasen nicht kollabieren, sondern handlungsfähig in gewünschter Weise bleiben. Plakativ: Was kann man tun, um nicht depressiv zu werden oder zu zerbrechen, sondern optimistisch und couragiert zu werden bzw. zu bleiben?
Die Figur des Stehaufmännchens und des Barons von Münchhausen illustrieren diesen individuellen Aspekt des „Wiederaufstehens“ und fokussieren, mit „innerer Widerständigkeit“ gemeint ist. Forschung und Anwendung von Resilienz zeigen: Jeder kann lernen, resilient(er) zu werden. Es ist also eine Fähig- und Fertigkeit, die Menschen entwickeln, sich aneignen können, da sie sich in Strategien zeigen. Und dies, obgleich genetische und epigenetische Dispositionen eine Rolle spielen (hier liefern Neurowissenschaften wertvolle Erkenntnisse, neben den Faktoren Herkunft und Milieu, also soziales, kulturelles Umfeld im Aufwachsen und Agieren im privaten wie beruflichen Alltag; und ein weiterer Aspekt zielt auf eigene Grundhaltungen im und zum Leben. Erwiesen ist zudem, dass Umfeldfaktoren bzw. Angebote eine erhebliche Rolle, etwa Personen, die als vorbildhaft, zuverlässig, vertrauenswürdig und hilfreich betrachtet werden; oder Institutionen wie Schule (Lehrer, Peers, Lernumfeld), Beratungsangebote, Sozialämter etc..
All diese Faktoren fallen ins Gewicht, wenn auch in persönlich (individuell) unterschiedlicher Weise. Sie alle tragen dazu bei, dass eine Person sich leicht(er) damit tut, auf Zuversicht selbst in höchst belastenden Phasen zu setzen, während eine andere Person aus dem Tal der Tränen kaum die Sonne am Himmel erkennen kann.
Stehaufmännchen
Das Stehaufmännchen, ein Kinderspielzeug, wackelt, sobald man es anstößt oder es durch andere Außeneinwirkung in Bewegung gerät, in alle Richtungen, und egal, wie sehr man es zu einer Seite schubst: es stellt sich immer wieder auf.
Das Stehaufmännchen repräsentiert im übertragenen Sinn vor allem anderen: Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit, wenn man so will: Agilität und Adaptivität, – und beides in souveräner Haltung, also ohne sich zu verbiegen, ohne in der Anpassung aufzugehen. Es stellt sich ja immer wieder auf, und zwar aus eigenem Antrieb.
Baron von Münchhausen
Baron von Münchhausen gilt vielen Menschen als Narzisst und wird damit pathologisiert, oder als von sich völlig überzeugter Schwätzer). Allerdings repräsentiert er durchaus Erstrebenswertes: gleichsam uferlosen Optimismus und Glauben an die eigenen Fähigkeiten (hohe Überzeugung der Selbstwirksamkeit und des Copings) und an das Glück, das ihm (im Zweifel, dass eigene Fertigkeit doch nicht genügt) hold ist.
Beide, Stehaufmännchen und Münchhausen, vereinen Haltung, Bereitschaft und Fähigkeiten, die resilienten Menschen zugeschrieben werden. Sie lassen sich nicht nur nicht entmutigen, sondern gehorchen dem Bonmot: Hinfallen, Krönchen richten, aufstehen, weiterlaufen – in weiser Kenntnis des Umstandes, dass man scheitern, daraus lernen und frohgemut weiterleben kann.
Resilienz adressiert Einzelne, Gruppen, Organisationen
Vor einigen Jahren wurde Resilienz herausgelöst und zum eigenen Thema sowie zum Gegenstand spezieller Forschung und Anwendung gemacht. Inzwischen gibt es ausgewiesene Websites, Gruppen (z.B. GABAL e.V., XING) und jede Menge Forschungsliteratur dazu (von populärer Literatur ganz zu schweigen). Bis dahin lief sie sozusagen implizit in psychologischer Forschung und praktischer Therapie/ Beratung mit, insbesondere in der Positiven Psychologie, der Salutogenese und der Stress-Coping-Forschung.
Geforscht wird zum einen zu Menschen/ Personen: zu Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, sowohl im privat-persönlichen als auch im schulischen/universitären und beruflichen Umfeld, und dies sowohl persönlich/individuell als auch zwischenmenschlich, interpersonell oder interaktionell.
Ausschau gehalten wird nach subjektiven Ressourcen, Strategien, Potenzialen und folglich Optionen: Was kann ich selbst tun?; ferner nach Interaktionen (Kommunikation, Kooperation) und sozialen Beziehungen: Welche Vorannahmen leiten mich? Bin ich in der Lage, Aufmerksamkeit von mir abzuziehen (Kreisen um mich selbst) und sie auf andere Menschen, Geschehen, Sachverhalte lenken? In NLP (Neurolinguistisches Programmieren) und Hypnotherapie, aber auch im Alltäglichen gilt: Die Energie geht dorthin, wo die Aufmerksamkeit liegt. Das kann man nutzen im Bestreben, die persönliche Resilienz zu stärken. Wie kann ich die Muster in meinem Denken, Fühlen, Handeln, in meinen Interaktionen beschreiben und beeinflussen? Und: Welche Menschen können mir helfen (konkret oder durch Vorbildfunktion)?
Zum anderen wird Resilienz auf Gruppen und Organisationen, prominent auf Unternehmen, bezogen. Den Fokus der Betrachtung und Intervention bilden hier neben den Menschen (Haltung, emotionale und kognitive Bereitschaften und Kompetenzen, Verhalten) Strukturen, Prozesse, Prozedere und organisationale Kultur.
Streben Organisationen (inklusiv Unternehmen) Resilienz an, gehören Modell und Praxis der HRO zu den derzeit überzeugendsten. Das Akronym HRO meint: High Reliability Organisations, in der Regel übersetzt als Hochzuverlässigkeitsorganisationen. Inwiefern das Modell der HRO, insbesondere in der Prägung von Sutcliffe und Weick signifikant dabei hilft, resiliente (auch: agile, adaptive) Organisationen aufzubauen, habe ich in anderen Publikationen und Blogbeiträgen skizziert.
Im Folgenden konzentriere ich mich auf persönliche Resilienz, weil Befragungen und wissenschaftliche Empirie zeigen, dass sie gerade gegenwärtig aktiv nachgefragt wird.
Weisen, Resilienz zu verstehen
Einigkeit besteht darüber, dass Resilienz schlussendlich von jedem Menschen selbst zu leisten ist. Allerdings variieren die Betrachtungsweisen. Je nach Arbeitszusammenhang und zu Grunde liegenden Modellen werden verschiedene Aspekte von Resilienz in den Vordergrund geschoben.
Bezogen auf Personen gilt: Resilienz wird mehrheitlich bestimmt als „innere Widerstandsfähigkeit“ im Sinne einer Antwort auf krisenhafte Lebenssituationen oder –phasen, als individuelle „Biegsamkeit“ (der Begriff kommt aus dem Stahlbereich) im Sinne von Anpassung an schwierige bis potenziell traumatisch wirkende Widerfahrnisse, Biegsamkeit meint eine persönlich stimmige Anpassungsbereitschaft und -fertigkeit, die im Kontrast steht zu dem, was „Sich-Verbiegen“ genannt wird, also persönlich nicht stimmiges Anpassen.
Eine weitere Bedeutungsfacette subjektiver Resilienz bezeichnet die Formulierung: „Gedeihen trotz widriger Umstände“, so der Titel eines Sammelbandes (Welter-Enderlin und Hildenbrand 2006). Dieses „Trotzdem“ bezieht sich auf die Fertigkeit, widrige Umstände, Hindernisse, Probleme so zu behandeln, dass die Betroffenen an ihnen wachsen, lernen und insofern zur Persönlichkeitsentwicklung nutzen.
Man kann auch, wie Conner (2006) von Resilienz als eines internen Orientierungssystems sprechen, das wir zurückgreifen können, wenn uns Erlebnisse aus der gewohnten Bahn zu werfen drohen. Stets bezeichnet Resilienz eine Kompetenz (Fähigkeit) und Fertigkeit (Performanz), deren Ausbildung, Mobilisierung, Anwendung und Wirksamkeit von Lebensphasen und Situationen abhängt.
Darin steckt der Hinweis, dass es um eine integrale Fähig- und Fertigkeit geht: Zu integrieren in das eigene Repertoire sind die Widerfahrnisse. Damit ist das viel zitierte „Ja zu etwas sagen“ oder „Annehmen“ gemeint. Das Akzeptieren ist ein wesentliches Moment dafür, dass der Betroffene beginnt, Ausschau zu halten nach hilfreichen, nutzbaren Ressourcen: sowohl im Rahmen seiner biographisch erworbenen als auch seiner Optionen im Umfeld (dazu siehe unten).
Bereits diese knappe Skizze macht klar: Resilienz ist als Fähig- und Fertigkeit entworfen, die im Verlauf des Lebens, in der Interaktion mit anderen, in verschiedensten sozialen Umfeldern und in der Auseinandersetzung mit Geschehnissen lebenslang ausgebildet wird.
Das deutet auf weitere Aspekte hin, wie Resilienz verstanden wird. Sie verweist neben der subjektiven Erlernbarkeit auf das Prozessuale hin: Resilienz entwickelt sich und fällt nicht als Fähigkeit vom Himmel. Das Verständnis, dass Resilienz als Prozess beleuchtet, konzentriert sich auf Übergänge in Lebensläufen, besonders krisenhafte.
Hervorgehoben wird ferner das soziale und relationale Moment. Die soziale und relationale Kategorie im Verständnis von Resilienz unterstreicht das Referenzielle und Korrelative: Resilienz bildet sich aus in Abhängigkeit von, in Beziehung zu und Wechselwirkung mit äußeren Faktoren, bei denen es sich um Menschen ebenso handeln kann wie um institutionelle Angebote wie beispielsweise sozialfürsorgerische Dienste.
Eine zusätzliche Erweiterung erfährt das Konzept mit Einbezug auch biologischer Einflüsse. Am umfassendsten ist dieser integrale Ansatz, der als „biopsychosoziale systemische“ Perspektive formuliert wird (Froma Walsh 2006). Diese Konzeption schließt neben psychologischen und sozialen Variablen auch soziokulturelle und ökologische, die Lebens-, Milieukontexte, sowie biologische und medizinische Aspekte mit ein. Nebenbei bemerkt: Die Forschung zur Rolle von biologischen bis hin zu molekulargenetischen Einflüssen ist noch ein sehr junger Forschungszweig (Holtmann 2004).
Wesentliche Erkenntnisse
Die bis heute längste und bekannteste Langzeitstudie ist die Kauai-Studie von Werner und Smith. Die Erkenntnisse aus dieser Studie werden zum Teil bestätigt, zum Teil erweitert durch weitere Studien und empirische Untersuchungen.
- Forschung und Empirie lassen Schlüsse darauf zu, wie sich Resilienz ausbildet und zeigt. In diesem Kontext wird auch von „Schutzfaktoren“, zuweilen auch von „Erfolgsfaktoren“ gesprochen. Unabhängig von der Anlage-Kultur-Debatte, von Grundmodell und Akzent wird immer wieder hervorgehoben, dass Resilienz etwas zu Entwickelndes, Dynamisches ist, Metamorphosen durchläuft und lebenslang erlernbar ist.
- Resilienz bildet sich in unterschiedlichen Phasen des Lebenslaufs in unterschiedlicher Prägung aus.
- Ein Schutzfaktor A ist im Kontext X relevant und hochwirksam, im Kontext B bereits weniger oder gar nicht: Welche Fertigkeit als resilient gilt bzw. Resilienz ausmacht, welche persönlichen, sozial vermittelten, erlernten Strategien aktiviert und genutzt werden und wie sie wirken, verändert im individuellen Lebenszyklus und je aktuellen Umfeld. Das, was einem Menschen innerhalb einer Phase hilft, beispielsweise das Verdrängen von schrecklichen Ereignissen, kann in diesem Moment sinnvoll sein und dazu beitragen, an Belastungen nicht zu zerbrechen, sondern zu wachsen oder zu reifen, während in einer anderen Lebenssituation gerade das Aussprechen und Schildern, das Erzählen und andere expressive Formen darin unterstützen, das Bedrohliche konstruktiv (für den weiteren Lebensweg) zu verarbeiten. Kurz formuliert: Das, was in einer Phase und Situation als resilient gilt, kann in einer anderen gegenteilig wirken.
- Relevanz, Art und Wirkung von Schutzfaktoren korrelieren offenkundig mit Phasen und Übergängen im Lebenszyklus, mit je aktuellen Bedürfnissen und Interessen, mit Umfeldfaktoren sowie mit dem persönlichen Entwicklungsstand und Profil.
Als wesentliche Schutzfaktoren gelten bis anhin diese folgenden. In der Kategorisierung folge ich Emmy Werner, die zwischen individuellen Schutzfaktoren, jener in der Familie und jenen im Umfeld differenziert.
Individuelle Schutzfaktoren wirken von Kindheit an. In den früh prägenden Jahren von Kindheit bis Frühpubertät fallen resiliente Kinder v.a. durch Eigenheiten im „Temperament“ (grundlegende Einstellungsdisposition zur Welt) auf, besonders dadurch dass sie von Bezugspersonen und im weiteren sozialen Umfeld als freundlich, empathisch, anderen zugewandt, als aktiv, fröhlich, aufgeschlossen, anschmiegsam wahrgenommen werden. Diese Eigenheiten werden bestärkt, weil sie als angenehm, erstrebens- und belohnenswert erfahren und die Kinder in ihrem Verhalten daher bestärkt werden (belohnt).
Aufgrund der motivierenden Zuwendung ist der Befund plausibel, der besagt, dass resiliente Kinder im Vergleich zu weniger oder nicht resilienten Peers in ihrer motorischen, kognitiven, verbalen Entwicklung weiter entwickelt sind. (Das ist empirisch immer wieder auch in anderen Kontexten bestätigt worden, etwa im Bereich Lehrer-Schüler-Interaktionen.)
Für die anschließende Pubertätsphase bis zur Adoleszenz zeigen sich die Früchte solcher Erfahrungen. Hervorzuheben sind der Glaube an die eigene Wirksamkeit, die Überzeugung von sich selbst als (pro-)aktiv Handelndem (Selbstwirksamkeits- und Coping-Forschung) sowie eine eher pragmatische als idealistische Sicht auf die eigene Zukunft (Realisierbarkeit, begründete realistische Zukunftssicht). Im weiteren Verlauf des Lebens wird diese Basis in der Regel ausgebaut und durch weitere Bildung, Ausbildung, Beruf, Gründung einer eigenen Familie, zuweilen auch durch religiöses Engagement gestärkt, erweitert, bereichert.
Familiäre und soziale (Umwelt-) Schutzfaktoren fördern Resilienz durch eine verlässliche emotionale Bindung an zumindest an eine Person innerhalb der Verwandtschaft, die als Identifikationsfigur oder Modell dienen kann. Das wird auf nicht-verwandtschaftliche Personen ausgedehnt. Besonders bedeutsam erweist sich neben der Unterstützung von Mitgliedern der Peer Group(s) diejenige nicht verwandter Personen, deren Zuwendung als zuverlässig, bindend und daher hilfreich erlebt wird. Eine familiäre Kultur, die das Ausdrücken von und Sprechen über Gefühle eher ermuntert als unterdrückt, deren Strukturen transparent sind und in der Entscheidungen nachvollziehbar getroffen werden und bindend sind, unterstützt ebenfalls dabei, das „seelische Immunsystem“ auszubilden bzw. zu aktivieren und sozial anerkannte, persönlich hilfreiche Strategien zu entwickeln, um Krisen zu bewältigen und aus ihnen gestärkt hervorzugehen.
Zunehmend im Rahmen des „biopsychosozialen systemischen“ Ansatzes geforscht, um psychologische und soziale Schutzfaktoren zu ergänzen um biologische, (molekular)genetische und andere materielle Faktoren und Prozesse, die als Moderatorvariablen fungieren könnten.
Ein Desiderat liegt in der näheren Betrachtung des Beitrags zu persönlicher Resilienz im Zusammenhang mit Weltanschauung und Lebensphilosophie. (Hier kann man an Wirkungsweisen religiöser bzw. metaphysischer und – im weitesten Sinn - meditativer Praktiken anknüpfen.)
Ein weiterer zu erforschender Zweig gilt der Wirkung von aktiv prosozialem konkretem Handeln: ein Handeln, dass das Gegenüber (Einzelne, Gruppen) in den Vordergrund der Lebensführung rückt, also Für-Sorge statt Selbst-Sorge zentriert. Personen, die in helfenden Berufszweigen tätig sind, könnten als Untersuchungsfeld lohnend sein in Bezug auf die Frage, inwiefern sie ihr fürsorgliches Tun selbst als Stärkung erfahren und durch das Helfen-anderer erweiterten bzw. anderen Zugang haben zu Strategien, mit besonders kritischen bis traumatischen Situationen, mit dauerhaften Schwierigkeiten umzugehen, ohne an ihnen zu zerbrechen. Denn neben dem so genannten Helfersyndrom, das professionelle Helfer vorzugsweise als Opfer begreift (von sich selbst: Scheitern an eigenen Ansprüchen, von äußeren Faktoren: Personalmangel, Infrastrukturdefizit, Unterbezahlung etc.), entwickeln sie gleichsam Überlebensstrategien; und jene, die „trotz allem“ ein fröhliches Gemüt haben, Fantasie in der Arbeit zeigen und ähnliche positive Zeichen setzen, die sich also weder selbst verausgaben noch zerbrechen, sondern „die Herausforderung lächelnd oder auch zähneknirschend annehmen“: diese Personen verfügen offenbar über Optionen in Denken, Fühlen, Handeln und Selbststeuerung, die Resilienz fördern. Von ihnen lässt sich lernen.
Einige „Tipps“, persönliche Resilienz zu entfalten bzw. zu stärken
Populär sind die so genannten sieben Säulen, die eher ein kategoriales Repertoire an Optionen bezeichnen und auch als Ressourcen benennbar sind, die ein Mensch in sich selbst und im Außen finden und „anzapfen“ kann. Die Optionen überlappen sich, hängen zusammen, wechselwirken, beeinflussen einander. Das gilt auch für die von mir ergänzte achte Bereitschaft, Fähig- und Fertigkeit: kognitive Wachheit, kombiniert mit dem Ehrgeiz, mit Ungewissheit lebensbejahend umgehen zu lernen – und dabei immer auf dem Weg zu sein.
- Optimismus leben: Hier ist nicht ein ungezügelter bzw. luftiger Optimismus gemeint (von dem bekannt ist, dass er genau gegenteilig wirken kann), sondern ein begründeter, einer, der auf Fundamenten beruht, die sich eine Person bewusst macht. Es sind Grundeinstellungen, Grunddispositionen, die maßgebliche Wirkungen zeitigen. Konkret: Lebensgrundhaltung, - philosophie, Glaube, Überzeugungen, die gleichsam das Vorzeichen des individuellen Lebens sind, die Grundfarbe, in der sich das Leben zeigt. Je nach Färbung dieser Grundlagen gelingt es einem Menschen, grundsätzlich zuversichtlich zu bleiben, insbesondere dann, wenn man Erfahrungen bedenkt, die zeigen: „Krisen gehen vorüber“, idealiter kombiniert mit der Motivation, zu lernen, das persönliche Repertoire zu erweitern. Etwa gemäß der Überzeugung: „Es hilft immer, zu schauen, was ich aus einer Krise lernen kann, um zukünftig besser gewappnet zu sein“.
- Geschehenes Akzeptieren: Annehmen ist nicht identisch mit einverstanden sein. Sondern als Gegensatz konstruiert dazu, mit einem Geschehen zu hadern und sich in einer negativen Eskalationsspirale zu befinden. Das Annehmen zeigt sich in der Gegenwärtigung, Geschehenes nicht ungeschehen machen, sondern immerhin konstruktiv wenden zu können. „Das ist mir nun einmal passiert - was kann ich also Hilfreiches tun?“ Es gilt der Dreischritt: Widrigkeit anerkennen, analysieren, Optionen ausloten und probieren – und schlussendlich eine (neue, veränderte) Strategie zu definieren und zu praktizieren. (Als Formel kann die der Trauerarbeit helfen.)
- Selbstwirksamkeit entfalten: Eine ausgeprägte Selbstwirksamkeit meint, dass man überzeugt ist (oder zumindest so agiert), dass man maßgeblich Einfluss ausüben kann. Man begreift sich grundsätzlich als Akteur, als Täter, als Gestalter oder Macher. Dies ist konstruiert als Gegensatz dazu, sich als Opfer zu empfinden (von Personen, Umständen etc.), sich zu bemitleiden oder auch, sich schuldig zu fühlen und in Selbstanklagen zu ergehen. All dies hilft nicht, handlungsfähig zu werden (oder werden zu wollen). Gegenteilig wirkt das Selbstverständnis als Akteur, der gestalten, beeinflussen, maßgebliche Beiträge leisten und insofern Kontrolle wiedererlangen kann, sich das begründetermaßen zutraut und möchte. Dabei kann man nach internen Ressourcen fahnden und gleichzeitig im Außen schauen, etwa nach Vorbildern/ Modellen suchen, Kontaktaufnehmen zu hilfreichen Personen, Gruppen, Organisationen, und auch eigene Weiterbildung betreiben und den eigenen Horizont weiten, insbesondere durch Lektüre von Sachliteratur ebenso wie Belletristik (Romanen, Biographien etc.), durch das Anschauen von Filmen, Besuchen von Ausstellungen etc..
- Verantwortung übernehmen: Für etwas einstehen, an dem man maßgeblich beteiligt ist, einschließlich der Konsequenzen. Verantwortung übernehmen bezieht sich auf eigenes Tun und dessen Folgen. Der Blick richtet sich stets auf den eigenen Beitrag zu einem Geschehen und damit auf Optionen (Strategien), Wirkungen oder Folgen wahrscheinlich zu machen, die man verwirklichen möchte.
- Ziel-, Lösungsorientierung: Menschen bestärkt es, wenn sie Erfolge haben, wenn sie „etwas geschafft“ haben. Die Wahrscheinlichkeit, eine erwünschte Ernte einzufahren, steigt, wenn man sich auf etwas, hier: die Aufgabe, etwas Konkretes zu verbessern, konzentriert (im Gegensatz zum Sich-Verzetteln, dem Wandern auf Nebenpfaden, dem Nachgeben von Ablenkungsreizen etc.). Um selbst wirksam zu werden (s.o.), hilft es, zunächst den eigenen Anteil an der Misere herauszuschälen und nach alternativen Optionen zu suchen, die dem Ziel dienen. Der Blick gilt dem Ziel, dann erfolgversprechenden Wegen dorthin und schlussendlich dem entsprechenden Handeln. Dabei ist es unerheblich, ob man Muster im Denken oder Fühlen anvisiert oder etwas Äußeres wie die Verbesserung des Arbeitsklimas im eigenen Team. Die Formel, das Schema und damit die Fragestrategie ist immer gleich. Der Fokus richtet sich auf den aktuellen Anlass, die Fragen lauten: Was kann helfen? Worin kann mein Beitrag liegen bei der Lösung oder beim Erreichen des Ziels? Welche Wirkungen möchte ich aus welchen Gründen (mit) herbeiführen? Auf diese Weise behandelt man nicht nur das Aktuelle, sondern erweitert das Repertoire in Fühlen, Denken, Handeln.
- Zukunftsperspektive perforieren: Wenn ich von Perforieren spreche, dann im Gegensatz zu Planung im traditionellen Verständnis. Es geht um eine Perspektive, die ich anstrebe, die mir Richtung und das Erstrebte in groben Zügen zeigt – und gleichzeitig Veränderungen gegenüber offen ist. Das gilt für den Lebensentwurf ebenso wie für die Erweiterung persönlicher Fertigkeiten. Man kann auch sagen: Es geht um einen Blick auf Optionen im Sinn von „Was tue ich, wenn….?“. Das Denken in oder Imaginieren von Szenarien erweist sich als Möglichkeit, sich innerlich (mental, psychisch) vorzubereiten, Strategien zu entwickeln, um im Rahmen des Wünschbaren reagieren zu können
- Netzwerke nutzen: Menschen sind eben nicht absolut der Schmied ihres Glücks, sondern sind immer schon in Rahmenbedingungen geworfen, an deren Herstellung sie nicht beteiligt waren. Menschen wechselwirken zudem mit anderen Menschen und stehen in Beziehung. Das Nutzen von Netzwerken regt dazu an, zu überlegen, welche Beziehungen sie zu anderen Menschen, Gruppen, Institutionen eingehen, aktivieren, pflegen, sollten, um dabei zu assistieren, resilient zu werden.
- Kognitive Wachheit und das Bewusstsein, immer auf dem Weg zu sein: Kognitive Wachheit bezeichnet Freude an einem verstehen-wollenden Denken (im Gegensatz zu einem primär urteilenden). Das Bewusstsein, immer auf dem Weg zu sein, verweist darauf, dass Wünsche offen bleiben, wir uns an auch überraschende Realitäten anpassen, Wünsche und Optionen justieren müssen – als Facetten des menschlichen Lebens. Zusammen helfen sie, sowohl Ambiguitätstoleranz zu erhöhen als auch Frustrationstoleranz. Beides, das Dulden und Akzeptieren des Umstandes, dass Unterschiedliches, selbst Widersprüchliches gelten kann, und das Faktum, dass Scheitern zum Leben gehört, nähren innere Widerständigkeit, indem sie weiteren hilfreiche Fähig- und Fertigkeiten zur Geburt verhelfen, insbesondere Gelassenheit und eine Grundhaltung, Widerfahrnisse zu nehmen, wie sie kommen, und bestmöglich mit ihnen umzugehen: in einer lebensbejahenden Weise.
Persönliche Resilienz zu entwickeln, ist kein Spaziergang. Es ähnelt eher einem Hürdenlauf, in dessen Verlauf die eigene Geschicklichkeit zunimmt und umgeworfene Hürden (Scheiternerfahrung) schlicht als dazugehörig angenommen werden. Eine Lebensphilosophie und -praxis, die dies einwebt, eröffnet die Möglichkeit, nicht „das Perfekte“ anzustreben, sondern das, was sich ein Mensch wünscht und leisten möchte und kann. Resiliente Menschen wählen aus. Sie entscheiden im Bewusstsein, dass jede Entscheidung für das Eine eine Entscheidung gegen alles andere auch noch Mögliche ist – und sie sind zufrieden damit.